Geistlicher Impuls des Monats

Die Werke der Barmherzigkeit spielen sich zwischen dem Ich und dem Du ab. Beide Pole sind wesentlich. Wer bin ich; wer bist Du?
Sich zu viel mit sich selbst zu beschäftigen ist schädlich; aber trotzdem bleibt es nötig, mir selbst diese Frage zu stellen: „Wer bin ich?“. Worin liegt die Wurzel meines Seins, was beflügelt mich, was begrenzt mich, kenne ich meine Stärken und Schwächen? Die Fastenzeit ist unter anderem eine Prüfung meiner selbst. Fasten, Almosen und Gebet, jeweils im Verborgenen, wie Jesus es uns anbietet, stellt mich vor die Frage: Wozu ist mein Ich fähig oder eben auch nicht?
Und dann ist da das Du. Eine jüdische Weisheit sagt, dass man den anderen nur lieben kann, zum anderen nur barmherzig sein kann, wenn man ihn wirklich kennt. Und wann kenne ich dich? – Wenn ich weiß, was dich leiden lässt. Kenne ich also mein Gegenüber? Lass ich mich von ihm herausfordern? Das ist zugleich Selbsterkenntnis wie auch erster Schritt zu Werken der Barmherzigkeit.
Und wo bleibt Gott? Das alles könnten ja Gedankenspiele oder praktische Übungen zur Selbstperfektionierung werden, die zu einer rein menschlichen Beziehungsoptimierung dienen. Dazu wäre die Fastenzeit zu klein gedacht. Gott, der von sich selbst sagt: „Ich bin.“ und zu jedem von uns: „Ich liebe dich.“ ist Ursprung und Ziel jeder Tat der Barmherzigkeit. Er möchte gerade zwischen dem Ich und dem Du erfahrbar werden.
Eine gute Fastenzeit wünscht Ihnen
Ihr Michael Wiesböck, Pfr.