Ein langer Weg kommt an seinen Beginn
Die strahlende Sonne mitten im Gesicht, auf dem grünen Rasen oder dem Parkplatz vor Bruder Klaus, so saßen die Gläubigen aus St. Josef, Dominicus und Bruder Klaus auf Stühlen zwischen Rosen und Lilien wie im Paradiesgarten und warteten auf den Erzbischof. Ehrenamtliche und hauptamtliche Musiker aus den drei Gemeinden saßen an der Orgel oder in Inseln um die Bühne. Sie begleiteten die Gründungsmesse mit einem bunten Lieder - Mix, der die vielfältigen und in den drei Gemeinden bisher gewachsenen Traditionen bezüglich liturgischer Musik anschaulich abbildete.
Der Erzbischof war auf der Bühne von allen Seiten gut zu sehen: „Ein langer Weg kommt an seinen Beginn!“ waren seine ersten Worte, und dann lud er dazu ein, jetzt offenen Herzens gemeinsame neue Erfahrungen zu machen, wohlweislich dass sich manche mit der personellen Strukturierung schwertun. „Im Herzen nehmen wir Pfarrer Bertram Tippelt in die Messe hinein, dessen Tod uns alle betroffen gemacht hat.“ Neben ihm standen der neue Pfarrer Michael Wiesböck, und Prälat Dybowski. Monsignore Bonin, Pfarrer Misgaiski, Pfarrer Motter, Pfarrer Kucklick und Diakon Rösler saßen neben dem Altar, der weiß eingedeckt auf Teppichen stand und reichlich mit Blumen geschmückt war.
Das Evangelium zitierte die Frage der Frau am Jakobsbrunnen: „Wo sollen wir anbeten?“, und so mancher Gottesdienstteilnehmer wird die Antwort Christi auf die Fusion der Pfarreien übertragen und verstanden haben, wohin die Reise geht: Gott sucht die Anbeter in Geist und Wahrheit, das Festhalten an Gebäuden und gewohnten Orten wird zweitrangig, wichtig wird das innere Zwiegespräch mit Gott.
In der Homilie wandte sich Erzbischof Dr. Heiner Koch ganz der Person Edith Stein zu, die in einer Zeit lebte, in der die Frage, ob es den Gott der Juden und Christen überhaupt gibt, zentral war: für Feuerbach, Nietzsche und Marx galt Gott nur als Erfindung, als billiger Trost für die Armen; der Fortschritt der Naturwissenschaften schien zudem einen Gott überflüssig zu machen. In der akademischen Auseinandersetzung dieser Zeit kam die Jüdin, Philosophin und wissenschaftliche Assistentin zum Glauben an Gott, den sie schon aus den Augen verloren hatte. Sie konvertierte und trat später in den Kölner Karmeliterorden ein. Der Bischof stellte die Frage in den Raum: „Wie ist sie zu diesem Glauben gekommen? Er beantwortet sie selbst mit drei Statements:
Edith Stein führte ein lebendiges, tiefes „Anbetungsleben“ bis zum bitteren Ende im Konzentrationslager Auschwitz, sie hatte eine Frömmigkeit, die weniger ein Gefühl, als die Entscheidung war, in Beziehung mit Gott zu leben, im Vertrauen darauf, dass er da ist.
Zweitens ließ sie sich auf den Glauben in guten und schweren Stunden ein, war bereit, immer neue Erfahrungen zu machen; Ernst zu machen mit Gott, auch wenn es zu Brüchen mit der eigenen Familie und zur gesellschaftlichen Ächtung führte. Die Bereitschaft, treu zu bleiben, führte sie zu dem radikalen Schritt des Eintrittes in den Karmel und dann zum Tod in Auschwitz.
Schließlich kennzeichnet Edith Stein ein Leben im Wörtchen „Für“, für die anderen um sie herum zu leben. So sagte sie beim Gang in die Gaskammern von Auschwitz: „Komm, wir gehen für unser Volk, für Israel!“ Und sie ging durch die Reihen der todgeweihten Kinder und Frauen, spielte und sprach mit ihnen und tröstete sie.
Eine Pfarrei, die mit der Person Edith Stein so verknüpft ist, so Erzbischof Koch, sollte dies hier in Neukölln-Süd lebendig werden lassen, „für die Menschen, mit denen wir zusammenleben, die vielleicht keine Christen sind, die Ihr Wort, ihre Gemeinschaft brauchen, auch in allen Einrichtungen, die zur Pfarrei gehören…“. Sehr eindrücklich war das Ende der Homilie: „Euch als Pfarrei frage ich: Leben wir wirklich aus einer tiefen Gemeinschaft in Christus? Es geht nicht zuerst um Dogmen… Lassen wir uns immer wieder darauf ein zu glauben? Sammeln wir Erfahrungen miteinander und allein? Leben wir für die Menschen, die Gott uns zur Seite stellt, die uns wiederum auch ihren Lebensreichtum schenken? Als Pfarrei lassen Sie sich auf eine Person ein, geben sie der Pfarrei ihr Gesicht…, lassen Sie durch Ihr Gesicht Christus aufstrahlen hier in Neukölln. Heilige Edith Stein, bitte für diese, Deine Gemeinde!“
Danach verlas Erzbischof Heiner Koch die Errichtungsurkunde der neuen Pfarrei Heilige Edith Stein Neukölln-Süd, die gleichzeitig die Aufhebung der bisherigen drei Pfarreien beinhaltet; er bestellte als Pfarrkirche St. Dominicus und erwähnte, dass St. Joseph und Bruder Klaus „Kirchen unter Beibehaltung des Patroziniums“ bleiben. Der Bischof setzte Pfarrer Wiesböck als „Pfarrer mit allen Rechten und Pflichten“ ein und fügte hinzu: „Gehen Sie mit den Menschen und für die Menschen und seien sie ihnen ein guter Hirt!“
Weil Bischöfe nach Lumen Gentium „Als Verwalter der Gnade des höchsten Priestertums“ die „geregelte und fruchtbare Verwaltung der Sakramente mit ihrer Autorität ordnen“, beauftragte jetzt der Erzbischof in einem feierlichen Akt Pfarrer Wiesböck zur Spendung der Sakramente von Taufe, Eucharistie, Krankensalbung, Bußsakrament und der Verkündigung des Evangeliums. Dazu wurden Stola, Salböl, Taufschale und die Heilige Schrift übergeben.
„Lieber Herr Erzbischof, ich bin, Gott sei Dank, nicht allein!“ so Pfarrer Wiesböck und stellte jetzt sein Team vor: Monsignore Bonin, Pfarrer Misgaiski, Diakon Rösler, Falk Schaberik, Christina Brath, und (die abwesenden) Krankenhausseelsorger Diakon Bellin und Phillipp Geisen.
Das Pastoralteam sprach darauf einen Treueeid.
Auf die knappe Vorstellung der Gremien, Sachausschüsse, Leiter der Kitas und der Schule sowie der Ehrenamtlichen in den verschiedenen Diensten folgte die Erneuerung des Taufversprechens aller anwesenden Pfarrmitglieder und ein feierlicher Segen über die ganze Pfarrgemeinde.
Die Fürbitten wurden in verschiedenen Sprachen vorgetragen: Neukölln ist Heimat vieler Nationen!
Nach der Messe, die etwa 90 Minuten dauerte, gab es zwei Grußworte.
Der amtierende Bürgermeister Martin Hikel und der Superintendent Dr. Christian Nottmeier des evangelischen Kirchenkreises Neukölln zollten den Mühen, die einem solchen „Verwaltungsakt“ vorangehen, allen Respekt. Beide bedauerten den frühen Tod von Pfarrer Bertram Tippelt und würdigten seinen Einsatz für starke Nachbarschaft im Quartier, für Dialog und Ökumene. Bürgermeister Hikel (SPD) betonte den Wert der Glaubensgemeinschaften und drückte seine Wertschätzung für ihren Einsatz in Neukölln-Süd aus: „Für starke Nachbarschaft sind starke Gemeinden unerlässlich: Glaube bietet Heimat im wahrsten Sinn des Wortes, Glaube bietet Schutz und Geborgenheit und verbindet Menschen miteinander über den gemeinsamen Glauben.“
Superintendent Nottmeier sprach von dem nötigen Aufbruch, um im Schmerz des Abschiedes gemeinsam Neues zu entwickeln. Er beglückwünschte zu dem Namen einer der großen Glaubenszeuginnen und Brückenbauerinnen des 20. Jahrhunderts. „Wir brauchen ein gemeinsames Zeugnis in guter Verschiedenheit unserer Kirchen …, um dem christlichen Glauben in verschiedenen Facetten ein Gesicht zu geben...Wir als Kirchen sind wichtig in diesem Bezirk, öffnen wir unsere Räume in den Sozialraum, dass er ein Segensraum wird!
Zu guter Letzt dankte die Vorsitzende des Pfarreirates Romana Pawlak den Pionieren auf dem Weg zur Großpfarrei, dem Leitungsteam der Entwicklungsphase, Frau Kerschkewicz, Herrn Klose und Pfarrer Pfeifroth, dem es leider nicht möglich war, dabei zu sein. Auch Pfarrer Wiesböck bekam Sonnenblumen: “Willkommen! Wir freuen uns, dass Sie da sind!“
Leckere Häppchen aus der Küche von St. Dominicus zu Sekt und Saft wurden dann - um Aufläufe zu vermeiden - auf Tabletts unters Volk gebracht und überall sah man Gemeindemitglieder auf die Neue Zeit anstoßen.
Paradiesgarten, Vorfreude, Nostalgie, Skepsis oder Angst? Egal was uns umtreibt, jedes Pfarrmitglied von Edith Stein ist sicher gut beraten, die Worte des Erzbischofes zu beherzigen, die Einheit in der Vielfalt zu bewahren, denn das II. Vatikanische Konzil betont: Bischöfe sind Diener in der Leitung: Wer sie hört, hört Christus. Und Christus macht letztlich alles gut.
Maria Voderholzer